7 Gedanken, die ich vom VOCER Innovation Day mitgenommen habe

Am Samstag war ich beim VOCER Innovation Day im SPIEGEL-Gebäude in Hamburg. Statt darüber zu jammern, wie schlecht es dem Journalismus geht, herrschten dort Aufbruchstimmung und Optimismus, Gründergeist und Tatendrang. Es gab inspirierende, Mut machende, aber auch warnende Impulsvorträge und Labs. Hier die sieben Gedanken, die ich persönlich von diesem Tag mitgenommen habe:

      • Wir sollten Daten und deren Analyse und Interpretation als Teil unserer Arbeit verstehen – und das nicht nur im Sinne von Datenjournalismus, sondern auch, um herauszufinden, was unsere Zielgruppen interessiert und wie wir unsere Arbeit entsprechend verbessern können. Daten berücksichtigen heißt auch: zuhören! Immer mehr Medienhäuser und Redaktionen verstehen das und lernen aus den Daten. Zum Beispiel macht das die Rheinische Post mit ihrem Listening Center, das von Google gefördert wird. Daniel Fiene stellte das Tool vor und erklärte auch gleich, wie die Redaktion Crowdtangle einsetzt, um in den sozialen Medien Themen zu finden und die eigenen Inhalte mit denen von Mitbewerbern zu vergleichen. Interessant fand ich dabei nicht nur, wie konsequent die ausgewerteten Daten die Redakteure bei der Arbeit unterstützen, sondern auch, dass die Tools nicht nur von einer zentralen Online-Redaktion, sondern von allen Redakteuren genutzt werden können. 
      • In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch Personalisierung und Automatisierung eine immer wichtigere Rolle. Welche Prozesse kann man automatisieren, welche sind nicht automatisierbar, welche Vor- und Nachteile hat Personalisierung im Journalismus und wie nutzen wir frei werdende Ressourcen, um die Qualität zu steigern – und nicht, um Personal einzusparen? Zohar Dayan aus Tel Aviv / New York zeigte, wie Wibbitz automatisiert News-Videos herstellt, die mittlerweile weltweit veröffentlicht werden. Seine Prognose: In wenigen Jahren werden Redaktionen, die Automatisierung nicht nutzen, keine Überlebenschance mehr haben. Dem muss man so nicht zustimmen, aber zweifellos ist Automatisierung ein Thema, das an Bedeutung gewinnt. 

    • Diversität ist eine unterschätzte Voraussetzung für gute Qualität im Journalismus. Nur, wenn Redaktionen divers besetzt sind (und das geht weit über die Geschlechter-Diskussion hinaus), sind sie auch in der Lage, divers zu berichten. Léa Steinacker (Wirtschaftswoche) hat dazu ein tolles, mitreißendes Plädoyer gehalten. Sie zeigte anhand von eindrücklichen Beispielen, wie sehr Vorurteile und Befangenheit Entscheidungen (zum Beispiel Personalentscheidungen) und somit auch Berichterstattung verzerren. Sie fragte daher sehr berechtigt, warum es in Deutschland – im Gegensatz zu etlichen anderen Ländern – nötig ist, Bewerbungen Fotos hinzuzufügen, wenn doch eindeutig belegt ist, dass dies Sexismus und Rassismus befördert.
    • Stichwort Qualität: Wie definieren wir überhaupt Qualität im digitalen Journalismus? Eine Frage, die banal klingt, über die meiner Erfahrung nach aber viel zu wenig diskutiert wird. Beim VOCER Innovation Day ging es immer wieder um die Frage, ob Reichweite überhaupt ein gutes Qualitätsmerkmal ist? Eine Diskussion, die wir viel intensiver führen sollten in unseren Redaktionen und Medienhäusern. Ich bin immer mehr der Überzeugung: Wer sich darüber beschwert, dass das Online-Publikum nur “Klicki-Klicki-Journalismus” goutiert, sollte sich als erstes fragen, ob er denn überhaupt ein anspruchsvolleres Publikum bedienen kann. Am Ende bekommt jeder die Community, die er verdient. 


  • Trump ist gut für den Journalismus: Klingt paradox, aber diese These vertrat Monika Bäuerlein von Mother Jones. Sie zeigte anhand von Zahlen, dass die Menschen in Zeiten eines solchen Präsidenten viel mehr als früher erkennen, wie wichtig eine freie, unabhängige Presse in einer Demokratie ist. Als Reaktion darauf verzichtete das Magazin immer mehr auf Werbung und setzte auf digitale Abos, mit denen heute fast die Hälfte der Einnahmen generiert werden. Lange Lesestücke sind an der Tagesordnung und erreichten beachtliche Reichweiten. Ein schönes Beispiel contra dem Klick-Wahn in den meisten Redaktionen. 

      • Nicht nur reden, machen: Mir sind an diesem Samstag viele gute Macher-Beispiele begegnet. Die Riffreporter – ich hatte vorher noch nie von ihnen gehört, sie befinden sich noch in der Alpha-Phase – haben den Netzwende-Award gewonnen. Sie haben sich zu einer Genossenschaft zusammengetan und berichten über Themen aus Wissenschaft, Gesellschaft, Kultur, Umwelt und Technologie und richten sich vor allem an freie Journalisten als Autoren. Diese können einzeln abonniert und unterstützt werden und im Gegenzug von Technik und Netzwerk der Riffreporter profitieren und sich eigene Communitys aufbauen. Tiefe und Qualität sollen hier vor Reichweite stehen, daher gibt es auch keine Werbung. Ähnlich ist es bei dem 2016 an den Start gegangenen Projekt Perspective Daily. Bei der Party am Abend habe ich eine der Autorinnen getroffen und gelernt: Auch hier steht Qualität noch vor Reichweite, auch wenn die Reichweite inzwischen beeindruckend ist. Auch hier richtet man sich direkt an die Leser und verzichtet auf Werbung. Ich hatte das Projekt etwas aus den Augen verloren, werde nun noch einmal genauer hinsehen.

    • Neue Storytelling-Formate: Vertikale Videos, augmented und virtual Reality, 360° – viele vor allem junge Journalisten auf dem VOCER Innovation Day beschäftigen sich längst damit, wie diese neuen Formate den Journalismus besser machen können. Städte selbst als Medien wahrzunehmen und mit Inhalten zu belegen – auch das ein Thema, mit dem sich zum Beispiel das von Google geförderte Urban Storytelling Lab der Hamburg Media School beschäftigt. Eine große Herausforderung, bei der noch viele Schritte bewältigt werden müssen, aber hier wird Out-of-the-Box gedacht und das inspiriert. 

Ich freue mich auf den VOCER Innovation Day 2018! <3

7 Kommentare

  1. Ist es nicht frustrierend, wenn man Großes möchte, bei solchen Veranstaltungen sieht, was geht und dann wieder beim DNT in die Provinzredaktion muss?

    PS: Gratuliere zur Erwähnung in 6vor9.

    1. Ich finde nicht, dass das eine das andere ausschließt. Natürlich gibt es nicht überall die gleichen Ressourcen und natürlich geht die Digitalisierung nicht überall gleich schnell oder gut voran. Und ja, manchmal ist das frustrierend. Aber erstens kochen alle nur mit Wasser und zweitens habe ich meine Arbeit in diesem Medienhaus genau deshalb vor gut drei Jahren aufgenommen: Weil es gerade im Regionalen eine spannende Herausforderung ist, an der Digitalisierung mitzuarbeiten. Neue Storytelling-Formate, Automatisierung, Personalisierung, Experimentierfreude, Diversität, die Qualitätsfrage, Datenanalyse – das betrifft alles keinesfalls nur die großen Player.

      1. Ab und an kommt mal was von Dir, das ist dann erfrischend anders. Aber wenn ich mir den Hauptauftritt im Web anschaue, dann ist das Onetz einfach nur furchtbar. Ein Gefrickel von vorn bis hinten. Die Suche ungenügend, da man neue Artikel immer erst mit Tagen Verspätung findet, weil ja unverständlicherweise die Searchengine von Google verwendet wird. Die Kategorisierung ist ohne Linie. Für den Besucher ist die Seite ein Graus.

        1. Danke für die Rückmeldung. Ich stimme Dir da in vielen Punkten zu. In ein paar Monaten sollte Besserung in Sicht sein. ;) Wenn es so weit ist, freue ich mich, wenn Du nochmal Feedback gibst.

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