Machst du schon Journalismus oder “veredelst” du noch? Für einen besseren Digitaljournalismus.

“Ich sehe all dieses Potenzial für digitalen Journalismus, das überall liegengelassen wird”, schreibt Jan Tißler in einem Beitrag mit der Überschrift “Ein besserer Digitaljournalismus ist möglich” und der Unterzeile “Doch wirklich. Ich bleibe Optimist.” Das Potenzial, das Jan sieht, das sehe ich auch. Ich muss sagen: Je länger ich in dieser Branche als Journalistin mit Spezialisierung auf Online unterwegs bin, desto mehr frage ich mich, warum in deutschen Medienhäusern so wenig diskutiert wird, wie Qualität im Journalismus Online eigentlich definiert wird.

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Blaulicht-Meldungen sind auf Nachrichten-Websites der Klickbringer schlechthin. Das Gute daran: Davon haben wir so viele, dass wir nicht befürchten müssen, uns würde der Stoff ausgehen. Und ich habe auch nichts gegen Blaulicht-Meldungen. Aber als Journalist oder Redakteur ist es natürlich frustrierend, wenn der Leser sich wie wild nur durch den oberflächlichen Boulevard klickt. Die Themen werden flacher, die Überschriften boulevardesker, die Klickstrecken dreister, die Werbung penetranter. Kennen wir alle.

Jan Tißler nennt das die “Digital-Tretmühle”: “Newswebsites versuchen in der Regel, sich allein über klassische Onlinereklame zu refinanzieren. Die wird pro tausend ausgelieferten Werbebannern bezahlt. Die Einnahmen basieren also allein auf der Zahl der Seitenabrufe und der Zahl der angezeigten Banner pro Seite sowie dem Grundpreis. Dabei gilt die Faustregel: Je nerviger und störender die Werbung, desto höher der Tausenderkontaktpreis.” Die Spirale dreht sich immer weiter. Jan: “Und am Ende wundern sich die Macher über die ‘Kostenloskultur’ im Internet, wettern gegen Adblocker und wollen am liebsten von Google bezahlt werden. Dabei sind sie es selbst, die ihre Arbeit entwertet haben.”

Fragwürdige Annahmen über Journalismus Online 

Das Dilemma wird viel zu selten thematisiert und diskutiert. Im Gegenteil: Fragwürdige Annahmen über Journalismus Online haben sich inzwischen in den Köpfen von Redakteuren und Verantwortlichen in den Verlagen so sehr verfestigt, dass sie häufig nicht mehr in Frage gestellt werden. Zum Beispiel solche:

  • Zeitung = gute Qualität. Online = minderwertige Qualität. Qualität hängt also ab vom Kanal.
  • Online-Leser sind nicht so anspruchsvoll wie Print-Leser.
  • Online-Redakteure sind keine richtigen Journalisten.
  • Onliner recherchieren nicht. Man traut es ihnen nicht zu und möchte auch nicht, dass sie sich beweisen.
  • Online muss immer super schnell sein. Noch schneller sogar. Echtzeit.
  • Online muss immer kurz sein. Niemand liest im Internet lange Inhalte.
  • Online muss man immer auf große Reichweite zielen. Inhalte müssen für die breite Leserschaft gemacht sein.
  • Onliner haben keine Ahnung von Print. Sie denken, Print ist eines Tages tot. Und finden das toll.
  • Online kannibalisiert Print. Ohne Online würden die Zeitungsauflagen wieder steigen.
  • Wir wollen nicht nur Zeitung im Internet machen. Deshalb “veredeln” unsere Onliner unsere Inhalte. Das ist dann Online-Journalismus, für den der Leser gerne zahlen wird.

Und jetzt, wo man vielleicht ahnt, wo ich hin will, muss unbedingt irgendwer laut sagen: “Aber wir verdienen damit ja kein Geld…” Das sind dann oft die Leute, die am allerwenigsten darüber nachdenken, ob da nicht vielleicht ein klitzekleiner Zusammenhang bestehen könnte. Zwischen für diesen Kanal minderwertig aufbereiteten Inhalten und der Tatsache, dass dafür niemand Geld ausgeben möchte.

“Veredeln.” Allein das Wort schon!

Ich möchte etwas loswerden zum “Veredeln”. Scharen von Onlinern in deutschen Redaktionen machen das jeden Tag. Schade nur, dass das so gut wie nie etwas zu tun hat mit echter Qualität. Ich weigere mich deshalb, das Wort “veredeln” ohne Anführungszeichen zu verwenden. Mit “veredeln” sind meistens Fließband-Tätigkeiten gemeint wie: Tags vergeben, Überschriften mit den richtigen Keywords und einer mehr oder weniger großen Prise Aufgeregtheit versehen, Bildergalerien hochladen, Videos einbinden und Google Maps basteln. Viel mehr steckt selten dahinter. Trotzdem rühmt man sich damit, Online was ganz anderes zu machen als in der Zeitung, “veredelte” Inhalte eben.

Ich kriege innerlich Pickel, wenn ich das Wort “veredeln” höre. Hoffentlich weiß der Leser diese “Veredelung” auch zu schätzen, so, dass er dafür das Portemonnaie öffnet. Und wenn nicht, ist er für den Untergang des Journalismus verantwortlich. Wer auch sonst? Nicht, dass wir uns falsch verstehen: SEO ist wichtig, das sollten alle Journalisten heute verstanden haben. Ein bisschen “Veredelung” ist gut, häufig sinnvoll und vor allem überhaupt leistbar. Aber wenn die Online-Strategie zu einem Großteil darauf basiert, aua. Das tut genauso weh wie wenn man denkt, die sozialen Medien seien nur ein weiterer Kanal, auf dem man eigenen Inhalte verbreiten muss.

Der ein oder andere Onliner kann womöglich sogar Journalismus!

In Zeiten, in denen die Printauflagen unaufhörlich sinken und Online-Erlöse nicht ansatzweise gleichwertig steigen, sollte man meinen, dass die ganze Medienbranche über die Qualität im Journalismus Online diskutiert. Wir diskutieren, ob sich die Spirale im Echtzeit-Journalismus in Terror- und Amokzeiten nicht bereits zu weit gedreht hat. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir bei weniger großen Inhalten im ganz normalen Alltag und dort vor allem im Regionaljournalismus wirklich über inhaltliche Online-Qualität reden. Und über die Frage, wer die liefern soll. Mit Technik alleine ist es schließlich nicht getan. Onliner zum Beispiel könnte man mal fragen, was sie außer Tags, reißerischen Überschriften, SEO und emotionalen, auffordernden Facebook-Teasern denn vielleicht noch so drauf haben. Der ein oder andere kann vielleicht sogar Journalismus.

Im Ernst: Ich habe in meinen Jahren in verschiedenen Medienhäusern so gut wie nur hochmotivierte und hochqualifizierte Onliner kennengelernt. Kollegen, die neugierig sind, Lust haben, Neues auszuprobieren, keine Angst vorm Scheitern haben und gleichzeitig journalistisch arbeiten können. Die sich nicht scheuen, zu wesentlich schlechteren Konditionen als die Kollegen in der Redaktion in einem ungewissen Bereich zu arbeiten und die oft die einzigen in der Redaktion waren, die über Themen wie Monetarisierung überhaupt konstruktiv nachgedacht haben. Mit “veredeln” bindet man solche Leute aber auf Dauer nicht. Weil es massiv unspannend ist und man damit immer nur Dienstleister für die Kollegen ist. Nicht wenige der Onliner, denen ich begegnet bin, arbeiten inzwischen woanders, oft überhaupt nicht mehr in Verlagen. Dabei suchen die meisten Medienhäuser eigentlich genau solche Leute. Zumindest wird das überall gepredigt.

In Themen denken, nicht in Kanälen

Bei uns im Haus hat Christian de Vries 2014 (damals Leiter Online) kurzerhand entschieden, dass die Online-Redaktion eigene Geschichten macht (zu finden hier). In einem regionalen Medienhaus mitten in der Oberpfalz, wohlgemerkt. Wir haben Themen gemacht, die wir nur mit Hilfe unserer Community umsetzen konnten, haben grundsätzlich in Themen gedacht und nicht in Kanälen. Haben uns tagelang durch Datenberge gewühlt. Haben Themen gemacht, die nur eine spitze Zielgruppe interessieren. Haben ausprobiert und auch mal was nicht so gut gemacht. Und Themen angepackt, die man in einer Zeitung niemals umfassend aufbereiten kann, weil es dafür schlichtweg keinen Platz gibt. Daraus online lange Lesegeschichten gemacht und in der Zeitung eine gekürzte Best-of-Fassung veröffentlicht. Eben gerade weil sich diese beiden Kanäle so gut ergänzen können.

Jede Menge solcher Themen gibt es und sie finden im Regionaljournalismus viel zu wenig oder in häufig oberflächlicher Form statt, aus eben diesen Platzgründen. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache bei einem Printmedium. Aber soll das ernsthaft in unserem digitalen Zeitalter als Begründung dafür dienen, dass wir diese Geschichten nicht erzählen? (Oder sie nur in Medien wie der hochgeschätzten ZEIT bzw. bei Zeit Online stattfinden? Spätestens hier muss ich dringend das Interview mit Jochen Wegner empfehlen, das so Vieles widerlegt, das wir gerne als gesetzt ansehen.)

Lasst uns mehr über Qualität reden!

Lasst uns viel mehr über die Qualität im Journalismus Online reden – und lasst uns dabei kurzfristige Reichweite auch mal ausblenden. Sie ist nicht das einzige Qualitätsmerkmal, das wissen wir doch eigentlich alle. Wir Redakteure, Autoren, Journalisten müssen – und können – uns bewegen, anpassen, ausprobieren, andere überraschen und bei der ein oder anderen Sache anders denken. Und an vielen Stellen bei unseren Arbeitgebern und Vorgesetzten einfordern, dass sie es uns ermöglichen, auf unseren Kanälen einen besseren Job zu machen. Damit das auf Dauer besser klappt mit der Monetarisierung.

“Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Leserinnen und Leser das am Ende zu schätzen wissen. Dass letztlich die gewinnen, die ihre Leserinnen und Leser ernst nehmen. Die etwas Gutes anbieten wollen. Die eine Leidenschaft für das haben, was sie tun”, schreibt Jan Tißler. “Daran glaube ich. Auch wenn es an manchen Tagen schwer fällt.” Das möchte ich auch.

Was heißt Qualität, wenn es um Journalismus im Internet geht? Welche guten Beispiele gibt es, abseits der großen Medienhäuser, im Regionalen? Wo findet konsequent guter Onlinejournalismus statt, der über das “Veredeln” hinausgeht? Und welche Chancen hat hier eine Monetarisierung? Ich würde mich über Meinungen und Anregungen freuen. :)

6 Kommentare

  1. Wer sagt, dass Online-Journalisten schlechter sind als Print-Journalisten. Manche machen beides. Andere sind von Prinz zu Online gewechselt. Gute Journalisten erkennt man nicht daran, für welche Mediengattung sie schreiben. Man erkennt sie an Geschichten. Bewegung, Empathie, Relevanz aber auch ein lesenswerter Stil sind für mich entscheidender. Mut, Abgeklärtheit, Weitsicht und Leidenschaft sind unabdingbar. Wer das hat kann schreiben für wen oder was er will.

    1. Das ist toll, dass du das so siehst. Das ist aber gerade im deutschen Sprachraum noch nicht allgemein so und schon gar nicht in den Redaktionen und Verlagen selbst. Selbst diejenigen, die in Print vor allem auf Qualität und eigene Recherche setzen, machen das im Netz bestenfalls ab und zu mal. Damit gewinnt man vielleicht einen Grimme Online Award, aber keine zahlenden Leser…

      Aber ich gebe die Hoffnung ja nicht auf, dass es da mit der Zeit erfolgreiche Beispiele gibt, an der sich dann alle anderen ausrichten können.

  2. Vielen Dank für den Beitrag und den Link auf meinen Artikel! Du sprichst mir da ganz aus dem Herzen. Gut zu wissen, dass ich mit meinem Optimismus nicht alleine bin. Wobei mir das manchmal echt schwer fällt…

    Gute Beispiele gerade aus dem deutschen Sprachraum fände ich auch super!

  3. Ein sehr interessanter, gut geschriebener Artikel. Ich persönlich glaube nicht, dass Online-Leser weniger anspruchsvoll sind als Print-Leser. Ganz im Gegenteil sogar. Ich, für meinen Teil, lese hauptsächlich Online, was bestimmt auch viele Menschen in meinem Bekanntenkreis tun. In meiner Altersklasse (rund um die 30) ist es ganz normal, nur noch online zu konsumieren. Dabei kann man selektieren und vergleichen. Wenn man sich eine Zeitung kauft, hat man nur die Berichterstattung von eben dieser. Ubahnzeitungen sind auch Print-Journalismus, da ist die Qualität in der Berichterstattung aber wesentlich niedriger als in schnelllebigen Online-Artikeln, zumindest zeitweise.

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