#Londonriots: Social Media und die Krawalle in London

Gestern Abend stand ich in Kontakt mit einigen Bekannten aus London, als sich dort in der dritten Nacht die Krawalle ausbreiteten. Einer davon versuchte, von einer Verabredung nach Hause zu kommen. Doch der öffentliche Nahverkehr stand bereits still. Er überlegte scherzhaft, einen der Polizeiwagen als Mitfahrgelegenheit zu nutzen, diese seien nämlich grad alle mit Blaulicht in Richtung seines Stadtviertels unterwegs. Nein, Sorgen bräuchte ich mir keine machen, meinte er – und postete bei Facebook Fotos von einem ausgebrannten Bus.

Einige meiner besten Freunde wohnen in London. Jeder davon ein Grund, sich persönlich Sorgen zu machen. Bei Twitter wurde #londonriots im Laufe des Abends zum Trending Topic – und ist es auch heute noch. Über die Geschehnisse an sich möchte ich hier nicht mehr sagen. Doch lohnt sich hier – wie schon beim Zyklon Yasi in Australien, den Aufständen in Ägypten und vielen weiteren Ereignissen – der Blick in die Social Media Kanäle.

Bei Netzwertig ist heute in einem Artikel von Martin Weigert zu lesen, “Warum die Rolle von Twitter und Facebook egal ist“. Wie fast immer wird jetzt diskutiert, Social Media befeuerten die Aufstände. Dazu Martin Weigert:

“Es braucht dazu nicht erst soziale Netzwerke, um den an einem Konflikt nicht abgeneigten Jugendlichen den notwendigen Antrieb zu geben, selbst auf die Straße zu springen und Adrenalin durch das Anzünden von Mülltonnen oder Plündern von Geschäften loszuwerden. Die klassischen Medien geben Inspiration und Details genug.”

Das sehe ich genauso. Social Media werden natürlich auch von Krawallmachern und friedlichen Demonstranten genutzt. Ebenso, wie sie auch von Medien, sonstigen Bürgern, Institutionen und der Polizei zunehmend genutzt werden. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass es diese Ereignisse ohne solche Kanäle nicht gegeben hätte.

Trotzdem ist es spannend zu beobachten, von wem Social Media auch im Rahmen der Londoner Krawalle auf welche Art genutzt werden. Wie immer sind diese Kanäle besonders interessant für Journalisten und Redaktionen:

  1. Als Quelle in Form von Augenzeugenberichten, Fotos und Videos aus der Mitte des Geschehens und in Form von Hintergrundinformationen, die helfen, einen Überblick oder zusätzliche Informationen zu bekommen.
  2. Als Darstellungsformen und Verbreitungskanäle eigener Beiträge sowie Kontaktmöglichkeit zu Nutzern und Augenzeugen.

Wie Medien und Journalisten Social Media und verschiedene Tools nutzen:

  • Diverse Journalisten berichteten live und professionell über Twitter aus verschiedenen Brennpunkten in London, darunter @JohnDomokos und @muskhalili, Videojournalisten bzw. -produzenten beim Guardian, sowie @ravisomaiya vom Londoner Büro der New York Times.
  • Der Guardian fügte die Tweets von Journalist Paul Lewis außerdem als Storify gebündelt in seinen Live-Ticker ein. Das ist das erste Mal, dass ich ein Storify sehe, das nach Quelle, nicht nach Thema zusammengestellt ist. So lassen sich Tweets einer Quelle auch für Nicht-Twitterer übersichtlich zugänglich machen. Neben Text und Zitaten stellte der Guardian via Audioboo O-Töne von Lewis dazwischen. Außerdem im Ticker zu finden: Videos über Twitvid, eine Google Map und eine Kommentarfunktion. Guardian-Journalist Mustafa Khalili bat die Leser heute bei Twitter, ihre Videos von letzter Nacht einzureichen.
  • “Catch a Looter” Tumblr-Blog: Im Blog “Catch a Looter” werden Bilder von Plünderern gesammelt und veröffentlicht, um bei deren Identifizierung zu helfen. Wer das Blog führt, ist allerdings nicht genau zu erkennen und den aktuell letzten Postings zufolge scheint es auch Bilder gegeben zu haben, die gefaked waren. In diesem Blogbeitrag wird klar, wie schwierig es ist, die Bilder als echt oder unecht (im Sinne von “Das ist ein Plünderer” und “Das ist jemand, der nur answesend war”) einzustufen. Mich würde interessieren, ob die Polizei das Recht hätte, solche Fotos für ihre Ermittlungen zu veröffentlichen. Die Idee ist gut, die Umsetzung möglicherweise rechtlich nicht abgesichert.
  • “Clean up London”: Auf einer Website, bei Twitter sowie auf diversen Facebook-Seiten tun sich Londoner zusammen, um ihre Viertel nach den Krawallnächten wieder aufzuräumen. Diese Social Media Kanäle helfen dabei, Leute zu mobilisieren und die Aktionen zu koordinieren. Über 8.000 Fans hat die genannte Seite bei Facebook (es gibt jedoch weitere mit hunderten Fans), der Twitter-Account hat über 64.000 Follower – Wahnsinn! Mashable hat einen schönen Bericht zur Aktion veröffentlicht – und obendrein ein Clean-up Storify dazugestellt. (Siehe auch dieses beinahe lustige Bild von der Aktion nahe Clapham Junction bei yfrog.)
  • Google Map “London / UK riots: Verified areas”: James Cridland hat eine Karte zusammengestellt, die die Krawalle in London und im restlichen United Kingdom lokalisiert.

London riots / UK riots: verified areas auf einer größeren Karte anzeigen

Höchst interessant ist, was Cridland dazu in seinem Blog schreibt. Er hatte diverse Probleme bei der Verifizierung der Quellen und Informationen und legte großen Wert darauf, nur gesicherte Orte in der Karte anzuzeigen. Er schreibt nach seinen Erfahrungen:

“Twitter is not a reliable source. (…) News media are not reliable either.”

Und:

“Many people don’t know what a reliable source is.”

Damit spricht er eines der größten Probleme an, mit denen auch Journalisten bei der Nutzung von Social Media als Quelle konfrontiert sind. Sein Blogbeitrag ist wirklich lesenswert: “Mapping the riots”. Und seine Karte habe ich jetzt schon auf mehreren Websites eingebunden gesehen, darunter auch solche von klassischen Medien.

Fazit:

Es ist nichts Neues: Social Media bieten durch Interaktion neue Formen der Aufbereitung und Gewinnung von Informationen. Journalisten und Redaktionen, die es verpassen, von den Vorteilen zu profitieren, bieten ihren Nutzern und Lesern weniger Service, verschließen sich als Anlaufstelle für Informanten, verzichten auf wertvolle Informationen und Darstellungsformen und outen sich obendrein als inkompetent im Umgang mit aktuellen Kommunikationsplattformen, die von den Rezipienten längst selbstverständlich genutzt werden. Das gilt für sämtliche Medienformen und ebenso für überregionale wie lokale Medien. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen.

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