Vor einer Weile habe ich untersucht, wie ABC News den Zyklon Yasi in Australien medial abgedeckt haben. Dabei war mir positiv aufgefallen, mit welcher Selbstverständlichkeit dort Inhalte wie Fotos, Videos und Zeugenaussagen von Nutzern in die redaktionellen Beiträge eingebunden wurden. ABC News nutzten das Tool Storify, mit dem sich Inhalte aus verschiedenen Social Media Kanälen kuratieren lassen. Ich fragte mich, warum es nicht auch hierzulande viel öfter genutzt wird und warum Verlage nicht eigene Versionen entwickeln und einbinden.
Allerdings muss man nicht ans andere Ende der Welt blicken, um Zeitungen zu finden, die mit Informationen aus Social Media offen umgehen und Nutzer-Inhalte als potenziell wertvoll erachten. Eines der Vorzeige-Beispiele ist die Rhein-Zeitung (siehe auch diese Präsentation bei Slideshare: Rhein-Zeitung – Print umarmt Social Media).
Im Ruhrgebiet haben sich die Ruhr Nachrichten in den letzten Jahren kräftig gemausert in Sachen Social Media. Seit geraumer Zeit fällt mir auf, dass die Nutzer und Leser mehr eingebunden werden, immer mehr Redakteure twittern, Leserservice an Bedeutung gewinnt, Twitter von der Redaktion viel persönlicher und interaktiver genutzt, Neues ausprobiert wird. Als der BVB deutscher Meister wurde, fuhr die Redaktion in Dortmund ein enormes Extra-Programm, das unter anderem eine Mischung aus redaktionellen Beiträgen und Inhalten von Nutzern beinhaltete. Hier kam auch Storify zum Einsatz.
Grund genug, dem Leiter der Stadtredaktion Dortmund, Philipp Ostrop (der auch selber bloggt und twittert), dazu ein paar Fragen zu stellen:
Kannst du bitte kurz umreißen, welche Bandbreite von Produkten, Medienkanälen und Tools ihr zur Meisterfeier des BVB produziert und genutzt habt?
Ok, ich versuch’s mal:
Natürlich Print. Der BVB ist immer ein großes Thema. Als Dortmunds Zeitung haben wir seit Januar sowieso eine tägliche BVB-Seite im Blatt (Ende Juni, wenn die Mannschaft wieder ins Training einsteigt, kommt auch die Seite wieder). An den heißen Meisterwochenenden haben wir insgesamt vier Sonderausgaben aktuell produziert und kostenlos vor dem Stadion, in der Innenstadt, am Autokorso und vor den Westfalenhallen verteilt. Die Sonderdrucke hatten insgesamt eine Auflage von 60.000. In den jeweiligen Montagsausgaben – nach dem Sieg gegen Nürnberg und am Tag nach der offiziellen Meisterfeier – haben wir natürlich auf vielen Seiten über den BVB berichtet. Von der Meisterfeier hat allein mein Team sechs Sonderseiten produziert. Außerdem gab es mehrere coole magazinige Sonderbeilagen.
Natürlich Online. Auf unserer eigenen Website www.RuhrNachrichten.de/bvb gibt es sowieso immer das volle Programm rund um den BVB. Infos, Kommentare, Fotostrecken, Live-Ticker, Votings und so weiter. Über die Feiern in der Stadt, über den Autokorso und die Party vor der Westfalenhalle haben wir nicht nur getickert, sondern auch per Livestream berichtet. Da gab es viele Zugriffe aus Japan. Die wollten alle den Kagawa sehen. Ach ja, online kann man auch die Print-Sonderausgaben runterladen.
iPhone: Heja-BVB, unsere BVB-App, ist ein paar Wochen vor der Meisterschaft in den Appstore gekommen.
iPad: Unsere Zeitung gibt es auch als so genannte eZeitung, also auf dem iPad und als ePaper für den Rechner.
Twitter:Wir berichten natürlich mit unserem Redaktionsaccount @RN_Dortmund, aber auch mit persönlichen Accounts, zum Beispiel @PhilippOstrop.
Facebook:Neben der Seite der Ruhr Nachrichten haben wir auf Facebook auch ein Extra-Angebot mit BVB-News.
Storify:Damit haben wir erstmals Social-Media-Reaktionen gebündelt und Pressestimmen verlinkt, zum Beispiel hier.
Buch: Wir haben das offizielle BVB-Meisterbuch herausgegeben. Vier Tage nach der Meisterfeier ist es in den Verkauf gegangen.
Und, abseits von redaktionellem Content: Wir haben 40.000 Meisterschalen produziert und kostenlos verteilt, wir bieten das volle BVB-Meister-Merchandising-Paket im Service-Center und im Online-Shop an: T-Shirts, Schals, Pins, Wimpel, Fahnen…
Welchen Stellenwert haben Social Media für die Ruhr Nachrichten heute?
Die Bedeutung wächst rasant. Aus redaktioneller Sicht ist der schnelle direkte Kontakt zu den Menschen in unserer Region Gold wert. Als Kanal für Tipps und Hinweise, aber auch als Korrektiv, denn wir werden über Social Media natürlich auch auf Fehler hingewiesen. Und wir stellen fest, dass immer mehr Traffic aus den Sozialen Netzwerken auf unsere Website kommt. Das ist ja auch wichtig.
Übrigens ist spannend zu sehen, wie das lokale Umfeld langsam auch im Social Web auftaucht. Die Pressestelle der Stadt Dortmund twittert, und die Westfalenhallen haben zum Beispiel für die Messe Creativa erstmals einen Facebook-Auftritt gelauncht. Auch die lokale Welt wird social – und das meine ich jetzt nicht politisch.
Hat sich die Einstellung der Redaktion / Verlagsleitung dazu in den letzten Jahren verändert? Wenn ja, inwiefern?
Klar. Auch intern wächst die Bedeutung von Social Media. Wir setzen uns intensiv mit den Chancen und Veränderungen auseinander.
Welche Vorteile seht ihr in Social Media und User Generated Content für die Redaktion?
Wie schon erwähnt: Der direkte Kontakt zu den Lesern und Nutzern ist Gold wert. Und zum Beispiel über unser Fotoportal www.nahraum.de bekommen wir tollen Content und fantastische Ideen für Geschichten. Rund um die Eröffnung des Phoenix-Sees Anfang Mai haben unsere Nutzer mehr als 100 Bilder hochgeladen.
Gibt es auch Nachteile?
Natürlich trifft man in den Sozialen Netzwerken auch auf Menschen, die einen nerven – aber das passiert am Telefon ja auch. Natürlich verdichtet sich der Arbeitsalltag noch weiter – aber dafür haben wir auch spannende neue journalistische Möglichkeiten. Die Vorteile überwiegen.
Wer ist jeweils zuständig für Twitter und zum Beispiel das Sammeln von Content aus dem Social Web?
Das ist Aufgabe der Redaktionen und Desks. Wir haben keine klassische Online-Redaktion. Unsere ehemaligen Print-Redaktionen sind seit ein paar Jahren auch für die jeweiligen Online-Auftritte zuständig – und in steigendem Maße auch für Social Media und Co.
Nutzt ihr das Ganze auch für die Printausgaben?
Klar. Regelmäßig finden Fotos von www.nahraum.de den Weg ins Blatt. Oder im letzten Winter, als die Busse in Dortmund wegen des Schnees ständig den Betrieb einstellen mussten, haben unsere Follower Twitpics für uns gemacht und hochgeladen. Einige der Bilder haben wir zusammen mit unseren Profi-Bildern abgedruckt. Wir haben auch schon mal eine Diskussion, die ich bei Xing angestoßen hatte, in der Zeitung abgebildet.
Werdet ihr Storify zukünftig öfter zum Kuratieren von Social Media Inhalten einsetzen?
Bestimmt. Ich habe schon längere Zeit nach einem Tool gesucht, um relevante lokale Social-Media-Quellen zu aggregieren. Storify scheint dafür genau richtig zu sein.
Was denkst du über Blogs auf Zeitungs-Websites? Wäre das auch was für die Ruhr Nachrichten?
Ja und nein. Eigentlich müssten Journalisten ja bloggen können. Aber ich habe selten gute Blogs auf deutschen Zeitungs-Websites gesehen, wenn ich ehrlich bin. Deswegen hat das für mich im Moment keine Priorität.
Wenn du mit Kollegen aus anderen regionalen Verlagen sprichst, was hast du für einen Eindruck: Öffnen sich Journalisten und Medien mehr in Richtung soziale Medien als früher?
Die meisten öffnen sich oder werden geöffnet. Wer sich verschließt, verliert.
Herzlichen Dank für das Interview! :)
Disclaimer, Juli 2011: Ich habe im Juli bei den Ruhr Nachrichten als freie Mitarbeiterin angefangen. Zum Zeitpunkt des Interviews war davon noch keine Rede, meine oben geäußerten Meinungen zu den RN hatte damit nichts zu tun.
Diese Eindrücke kann ich nur bestätigen. Ich twittere und “facebooke” intensiv und bin begeistert, wie ernst Social Media bei den RN genommen wird.
Vielen Dank für das Interview und die ausführliche Stellungnahme von Philip Ostrop.
Danke für deinen Kommentar und entschuldige, dass er nicht direkt freigeschaltet wurde. Ich weiß nicht, warum, aber er lag im Spam-Ordner.
@Ostwestf4le Gerne!
Hallo Frau Kaute, habe gerade Ihr Interview mit Philipp Ostrop entdeckt. Vielen Dank dafür, das sind interessante Einblicke!
LG, Stefan Heijnk