Interview mit Reporter Karsten Krogmann (Nordwest Zeitung) über die Multimedia-Reportage “Dangast – Das gespaltene Dorf”

Karsten Krogmann

Am 31.102017 hat die Nordwest Zeitung auf ihrer Website eine Multimedia-Reportage über das Nordseebad Dangast veröffentlicht. Karsten Krogmann (Twitter), Reportagen-Redaktion, und sein Online-Kollege Christian Ahlers (Twitter) haben das Thema kanalneutral aufbereitet – multimedial und in aller gebotenen Ausführlichkeit für die Website und in einer Serie in der Zeitung. Ich empfehle die Reportage in meinem November-Newsletter zum Medienwandel. Im Interview gibt Karsten Krogmann Einblick in die Entstehung und Umsetzung der Reportage und erzählt, welche Reaktionen sie hervorgerufen hat. 

Wie ist die Idee entstanden, das Thema so umfangreich und multimedial zu behandeln? Denken Sie in Ihrer Redaktion bei der Themenwahl und -umsetzung häufiger abseits von „60 Zeilen + Foto“?

Karsten Krogmann: Die Diskussion um die Veränderungen in Dangast dauert ja schon ein paar Jahre an; unsere Lokalredaktion in Varel hat natürlich regelmäßig über die verschiedenen Schritte berichtet. Vor einigen Monaten sind dann Vertreter der in den Streit involvierten Bürgerinitiative Dangast auf mich zugekommen mit der Frage, ob sich nicht auch die Reportagen-Redaktion des Themas annehmen möchte – einmal, um das sich immer weiter auffächernde Thema zusammenzufassen, vor allem aber auch, um Ungereimtheiten nachzugehen (und Missstände aufzudecken, die man natürlich beim anderen Lager sah). Die Nordwest-Zeitung hat eine zweiköpfige Reportagen-Redaktion, die unabhängig von der Tagesproduktion Hintergrundrecherchen betreibt und auch investigativ recherchiert. 

So bin ich zu dem Thema gekommen – und musste schnell zweierlei feststellen: dass es erstens außergewöhnlich komplex und kompliziert ist, und dass zweitens hinter dem eigentlichen Thema ein weiteres, sehr menschliches steckt: nämlich dass es da einen Spalt gibt, den die emotional geführte Diskussion in das kleine Dorf gerissen hat. 

Ich merkte schnell, dass das kein Stoff ist, der sich auf einer Printseite abhandeln lässt.  Vor allem wir in der Reportagen-Redaktion denken tatsächlich – wie übrigens auch unsere Online-Redaktion – regelmäßig und immer häufiger in größeren Formaten.

Welche Voraussetzungen muss es geben, dass eine Redaktion ein Thema so angehen kann?

Um ein Thema so anzugehen und umzusetzen, braucht es vor allem: Zeit. Zu diesem Zweck hat die Nordwest-Zeitung vor sieben, acht Jahren die Reportagen-Redaktion eingerichtet, die zunächst aus mir allein bestand und mittlerweile mit zwei Reportern besetzt ist. Wir sind aus der Tagesproduktion herausgelöst und dürfen tatsächlich umfangreich und akribisch recherchieren. Dazu gehört auch, dass wir immer wieder mal Fragestellungen nachgehen, die sich schließlich nicht beantworten lassen und ergo zu keiner Berichterstattung führen. 

Das bedeutet, dass es neben der Zeit einer weiteren Voraussetzung bedarf: Vertrauen! Ich denke aber, dass wir diesen Vorschuss unserem Haus zurückzahlen: Es gibt sehr positive Leserrückmeldungen auf solche Recherchen, und unsere Arbeit wurde in den vergangenen Jahren wiederholt ausgezeichnet. So zum Beispiel 2016 mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem ersten für die Nordwest-Zeitung seit mehr als 40 Jahren.

Was war die größte Herausforderung? Gab es Schwierigkeiten?

Eine große Herausforderung war sicherlich die Komplexität des Themas, verbunden mit vielen Vorwürfen, denen es nachzugehen galt. Dass ich monatelang an diesem Thema gearbeitet habe, hatte auch damit zu tun, dass ich mehrfach entnervt das Handtuch werfen wollte und den Dangast-Stoff zur Seite legte. Ich musste investigativ an Unterlagen kommen, die trotzdem nicht immer die Klarheit brachten, die ich mir erhoffte. Denn die zweite große Herausforderung war die Zerstrittenheit der Parteien: Mir war klar, dass jede kleinste Ungenauigkeit oder Unvollständigkeit sofort genutzt werden würde, meine Arbeit zu diskreditieren. Das war ein Grund, warum der Faktencheck in der Mitte der Geschichte so ausführlich ausfallen musste.

Ach ja, und das ist dann auch Herausforderung Nummer 3: Es gab zwei Adressaten für die Geschichte. Einmal sind da die Dangaster, also die beiden Parteien, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigen und sehr viel Wissen haben. Zum anderen sind da die Leser außerhalb der Region Friesland, die durch uns jetzt zum ersten Mal davon erfuhren. Dangast ist für das gesamte Verbreitungsgebiet unserer Zeitung, etwa für Menschen aus der Stadt Oldenburg, ein beliebtes und bekanntes Ausflugsziel.

Welche Personen waren beteiligt und wie war die Aufgabenteilung?

Die Recherchen und das Schreiben lagen bei mir. Ich habe dann aber bald den Online-Kollegen Christian Ahlers mit ins Boot geholt, weil mir klar wurde, dass wir den zu erwartenden Umfang zunächst wohl nur auf NWZonline abbilden würden können. Christian hat alle Videos gedreht und Fotos gemacht, die Gestaltung des Beitrags übernommen und Multimedia-Elemente geschaffen, so zum Beispiel die interaktiven Karten. Wir haben uns, noch bevor der Text fertig war, regelmäßig ausgetauscht. Das Text-Layout mit der Kapitelaufteilung war dann sozusagen sein Storyboard für die Multimedia-Reportage. Letztlich hat mir die Tatsache, dass wir irgendwann zu zweit waren, sehr dabei geholfen, das Thema doch noch abzuschließen.

Wie wurde das Thema in der Zeitung veröffentlicht?

Mir scheint es derzeit die größte Herausforderung zu sein, ein umfangreiches, multimediales Online-Stück in die Zeitung zu bringen. Hier haben wir, erstmals, den Weg eines Mehrteilers gewählt. Wir haben die Dangast-Geschichte in vier Teilen an vier aufeinanderfolgenden Tagen auf der Reportagenseite im Regionalteil veröffentlicht und jedes Mal auf der Titelseite angekündigt. 

In einem anderen (noch ausführlicheren) Fall vor einigen Wochen haben wir aus einer Multimedia-Reportage eine sechsseitige Printfassung gemacht und die an einem Tag der Zeitung als eigenes Buch beigelegt. Wenn Sie dort auch mal reinschauen mögen: www.NWZonline.de/ewe-abgehoben (der Text hatte allerdings einen höheren Zeitdruck und ist daher multimedial etwas unaufwendiger).

Ich denke, wir experimentieren derzeit noch in dieser Frage Online/Print. Der Mehrteiler kam aber offenbar ganz gut an.

Titelseite der Nordwest Zeitung zum Thema

Welche Reaktionen hat es vonseiten der Leser/User und der Protagonisten gegeben?

Es gab zahlreiche Leserreaktionen, per Mail, Brief, Anruf. Auf Facebook gab es mehr als 100 Kommentare, darunter aber natürlich wie immer erkennbar auch welche von Usern, die den Text eindeutig nicht gelesen haben. Die differenzierteren Rückmeldungen lobten zum größten Teil die Ausführlichkeit und die Sachlichkeit/Neutralität. Aber natürlich gab es auch Rückmeldungen von Parteigängern, die die jeweils andere Partei in der Berichterstattung bevorteilt sahen. Diese Vorwürfe waren von beiden Seiten so ausgewogen, dass ich mich da in der Mitte sehr wohl fühle. 

Übrigens gab es auch von Protagonisten und Parteigängern häufig Anerkennung für den hohen Informationsgehalt und die Neutralität (häufig dann aber doch verbunden mit einem „Aber“, das auf ein leichtes Ungleichgewicht zugunsten der anderen Seite verwies). 

Auf jeden Fall gibt es seit der Veröffentlichung in Dangast und umzu eine neue, sehr lebendige Diskussion, von der wir sagen dürfen: Das haben wir angeschoben!

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