Multimedia im Lokalen: Mut zur Länge, Mut zum Experiment

Zum Jahreswechsel ist ein Multimedia-Spezial von mir online gegangen, an dem ich wochenlang gearbeitet habe. In der Zeitung ist es als fünfteilige Serie erschienen, mit zwei ganzen Seiten. Es war für mich das erste Mal, ein multimediales, lokales Projekt in dieser Dimension alleine umzusetzen. Das hat mich ein paar Dinge gelehrt und einige Gedanken wieder hervorgebracht, die ich schon länger habe:

Die erste Hürde: Themen nicht in Zeilen denken. 

60 Zeilen hier, vielleicht mal 120 oder eine ganze Seite – was darüber hinausgeht, passt nicht in die Zeitung und hat deshalb oftmals keine Chance. In der Folge finden komplexe Themen im Lokalen nicht, nur oberflächlich oder zerfranst in viele einzelne Artikel statt. Die erste Hürde lautet, solche Themen überhaupt zu finden, sie sich nicht selbst zu verbieten und sie intern zu verkaufen.

Konkret und kritisch hinterfragen, welches Format für welchen Teil der Geschichte und welchen Kanal das beste Format ist.

Wo lohnt sich ein Video, wo ist es überflüssig? Was soll der Protagonist im Video sagen, ohne dass er das wiederholt, was schon im Text steht? Und muss ich Teile dessen, was er sagt, in den Print-Text schreiben oder reicht der Verweis auf online? Wo gibt es Daten, die ich grafisch aufbereiten kann? Lohnt sich eher ein Audio als ein Video? Wo reichen Text und Bild völlig aus, um das Wichtigste zu sagen? Welches Format ist für die Zeitung passend: Anreißer mit Verweis auf online, Artikel, 1 Seite, Pano-Seite, Serie? Und welches für online: 1 großer Beitrag, eine Serie, ein Dossier mit mehreren Artikeln? Welche Textlänge kann ich dem Online-Leser zumuten? Wann werden Print- und Online-Version jeweils veröffentlicht? Und wie und wo kann man die Online-Version pushen? Hier sind viele kleine Entscheidungen zu treffen.

Solche Projekte sind immer auch Experimente.

Weil man die vorangegangenen Fragen nicht alle eindeutig beantworten kann. Man muss ausprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass man im Nachhinein feststellt, anders wäre es besser gewesen. 

Vor Ort ist man extremer Multitasker. 

Fragen stellen, Notizen machen, das Geschehen beobachten, ein Video drehen, fotografieren – und das alles irgendwie gleichzeitig, mit nur zwei Händen und oft in eher unbequemer Situation (wie bei meiner Reportage zum Beispiel im Auto). Das kann stressig, mental und körperlich anstrengend sein. Und so enden, dass man Szenen, die man gerne als Foto hätte, auf Video hat oder Zitate, die super fürs Video gewesen wären, im Block stehen. Gerade deshalb ist es wichtig, vorab zu wissen, was man haben möchte (siehe Punkt zwei oben). Dann macht das Ganze nämlich auch großen Spaß.

Man kann so etwas nicht “nebenbei” machen. 

Man muss dafür freigestellt sein. Alleine die Konzeption kostet Zeit, die Recherche besteht nicht nur aus Telefonaten oder einem Termin, die Drehs der Videos dauern länger als ein Termin ohne Video und dann müssen die Videoschnipsel ja auch noch geschnitten, Daten-Grafiken erstellt und alle Teile für Print und Online gelayoutet werden. Arbeitet man alleine, kann man alle Arbeitsschritte nur nacheinander erledigen. Das kostet viel Zeit, die man dann nur bedingt hat, um gleichzeitig tagesaktuell zu arbeiten. Das dürfte in den meisten lokalen Redaktionen mit begrenzten Ressourcen eine personelle Herausforderung sein – und erfordert Rückhalt und Vertrauen von oben.

Man muss ein Ende finden, die Grenzen kennen.

Es ist leicht, sich in einem solchen Projekt zu verlieren. Ich hätte noch einige weitere Aspekte und Perspektiven in die Geschichte einbringen können, die ebenfalls spannend gewesen wären. Fast fühlt sich die Endversion jetzt ein bisschen “unrund” an, weil ich manches ausgelassen habe. Aber irgendwann muss man aufhören, gerade, wenn man so etwas alleine umsetzt und man in einem tagesaktuellen Medium arbeitet. 

Messen, wie der Nutzer reagiert. 

Ich denke, Longstorys, Videos und Daten-Grafiken fordern dem Nutzer einiges ab. Sie sind Hürden, die er überwinden muss, für die er Zeit haben muss. Aber ich glaube auch fest daran, dass er, wenn er ein Thema richtig interessant findet, diese Hürden nimmt. Aber es ist schwer einzuschätzen, wo seine Toleranz-Grenze ist. Deshalb ist es wichtig, zu messen. In meiner Beispiel-Reportage ist das leider nur bedingt möglich, weil ich auf ein externes Tool zurückgegriffen habe. Ich wüsste gerne mehr darüber, wie der Nutzer den Beitrag konsumiert hat.

Frage nach den Qualitätskriterien stellen – und messen. 

Ich halte nicht viel davon, gerade bei solchen Stücken alleine auf die Zahl der Leser oder Seitenaufrufe zu schauen. Als Ziel sehe ich anstelle großer Reichweite eher, diejenigen, die sich für das Thema interessieren, tief reinzuziehen. Mindestens genauso wichtig wie Seitenaufrufe / User wären mir Infos dazu, wie weit gelesen wurde, welche Teile der Geschichte gelesen wurden, wo ausgestiegen wurde, wie oft der Beitrag geteilt wurde, woher die Aufrufe kamen, welche Videos wie weit angesehen wurden und welche Rückmeldungen es gab. Mein aktuelles Beispiel hat unter all unseren in Exposure erstellten Beiträgen bisher die meisten “Enjoys” bekommen, neben den Seitenaufrufen ist das leider die einzige Zahl, die ich herausfinden kann.

Die nächste Multimedia-Reportage

Ich habe parallel zur Arbeit an diesem Beitrag eine weitere Multimedia-Reportage angefangen, die in den kommenden Wochen veröffentlicht wird. Ich habe zwar selbst keinen richtigen Zugang zum Thema Fasching, aber es ist bemerkenswert, wie viele Menschen sich in Faschingsvereinen engagieren und wie viel Herzblut sie da reinlegen. Auch in der Oberpfalz, die nicht gerade als Faschings-Hochburg bekannt ist. Ich habe in den letzten Wochen mehrere lokale Vereine beim Training und beim Schneidern besucht – immer auch mit der Videokamera im Gepäck. Das Ergebnis ist hier zu finden.