Auge in Auge mit einem Sandtiger

Sie haben Buckel und ihre Zähne stehen krumm aus dem Maul hervor. Die stark bedrohten Sandtiger-Haie in freier Natur zu erleben ist jedoch ein Privileg. In South West Rocks an der australischen Ostküste bewachen sie die Eingänge zu einer Unterwasserhöhle. Eine Reportage über einen der schönsten Tauchplätze Australiens.

Anfangs sind ihre Umrisse nur zu erahnen. Erst nach und nach formen sich die Silhouetten im diffusen Gegenlicht zu erkennbaren Tierkörpern. Scheinbar ohne Regung schweben sie über das kleine Sandfeld. Ich zähle. Eins, zwei… zehn… fünfzehn… zwanzig… Hinter den dunkelgrauen Umrissen erscheinen etliche weitere Schatten. Ebenso darüber und darunter. Es wimmelt nur so von diesen silber-grauen Körpern mit den hochgezogenen, elegant geschwungenen Schwanzflossen.

Mit weniger Abstand erkenne ich auf den muskulösen Flanken bronzefarbene Flecken. Wie Sommersprossen. Krumm und schief stehen die langen, weißen Zähne aus dem schmalen Maul hervor. Zu offensichtlich gibt es aus diesem kein Entkommen. Trotzdem ziehen Abertausende von bunten, sich synchron windenden Fischen an den geisterhaften Schatten vorbei.

Vom Aussterben bedroht

Der Fish Rock ist einer der nur noch wenigen Tauchplätze an der australischen Ostküste, an denen sich Sandtiger versammeln. Diese bösartig anmutenden, aber von ihrem Wesen her eher freundlichen Haie sind weltweit bedroht. Wissenschaftler vermuten, dass sie an der australischen Ostküste innerhalb der nächsten zehn Jahre aussterben werden. Wer sie hier noch in ihrem natürlichen Lebensraum sehen will, sollte sich beeilen. Und das habe ich getan.

Die kleine Felseninsel Fish Rock liegt zwei Kilometer vor der Küste von South West Rocks im Norden des Bundesstaates New South Wales, mittig zwischen Sydney und Brisbane. South West Rocks ist ein eher unscheinbarer Ort. Der Leuchtturm Smoky Cape Lighthouse bietet einen weiten Ausblick über die Küste. Das ehemalige Gefängnis Trial Bay Gaol, in dem ab 1915 deutsche Gefangene interniert waren, beherbergt ein Museum. Im Caravanpark, der direkt am kilometerlangen, einsamen Sandstrand liegt, ist Entspannung angesagt. South West Rocks beherbergt allerdings mit dem Fish Rock und der durch die Felseninsel gehenden Unterwasserhöhle einen der Top-Tauchplätze Australiens.

Gänsehaut!

Wir verhalten uns ruhig. Hintereinander her tauchen wir immer näher an die etwa 30 Sandtiger heran. Diese seien neugierig, hieß es auf dem Boot kurz vor den Tauchgängen. Wie neugierig sie sind, erfahre ich schon kurz nach dem Abtauchen am eigenen Leib. Als ich zur Seite blicke, bemerke ich weniger als eine Armlänge von mir entfernt eine Bewegung. Ich blicke direkt in das Auge eines Sandtigers, der sich unbemerkt parallel an mich heran geschlichen hat.

Deutlich kann ich die kreuz und quer aus dem Maul ragenden Zähne erkennen. Das Auge bewegt sich vor und zurück, beobachtet mich ohne Scheu. Der torpedoförmige, buckelige Körper ist beinahe doppelt so lang wie meiner. Einen Augenblick lang betrachten Hai und Mensch sich interessiert – Gänsehaut! Dann dreht das Tier ab.

120 Meter lange Höhle

Unter dem Rudel Haie befindet sich auf einer Tiefe von 24 Metern der kleine Eingang zur Fish Rock Cave. Diese Unterwasserhöhle windet sich 120 Meter lang quer durch den Fels. Eng und rabenschwarz ist es darin.

Wir können nur in Zweiergruppen hintereinander her tauchen, sich umdrehen oder nebeneinander tauchen ist ausgeschlossen. Wenige Meter hinter dem Eingang herrscht ungewohnte Stille und Dunkelheit. Der Lichtkegel der Tauchlampe erfasst zwei riesige Stachelrochen, die sich gestört fühlen und vom Boden aufschrecken.

Überall, wo die Lampe hin leuchtet, bewegt sich etwas, reflektieren kleine Augen das Licht, ragen lange Antennen und kräftige Greifarme aus den Spalten. Durch einen Kamin geht es schräg rechts nach oben. Die Tauchflasche schlägt gegen die felsige Decke, der Bauch schleift beinahe über den Boden, so eng ist es. Bloß nicht zu viel nachdenken.

Zurück ins Blau

80 dunkle Meter lang frage ich mich, ob wohl gerade ein unentdeckter Sandtiger irgendwo unter der Decke und über meinem Kopf schwimmt. Dann wird der von hellblauen und weißen Lichtstrahlen durchflutete Höhlenausgang größer und größer. Langsam kehren die Farben zurück. Rote Korallenäste und bunte Schwämme schmücken die Wände. Am letzten Stückchen Höhlenwand knabbert eine Schildkröte am Bewuchs.

Ein Rotfeuerfisch bewacht mit weit ausgefächerten Flossen einen kleinen Vorsprung. Durch Tausende von zuckenden Schwarmfischen geht es zurück ins Blau. Ein neugieriger, gelber Trompetenfisch nimmt uns am Ausgang in Empfang. Von uns jedoch sieht er bald nur noch Umrisse, die zurück zur Wasseroberfläche schweben.

  • Diese Reportage ist eine modifizierte Version meiner englischen Reportage, die 2007 im Reisemagazin Australian Traveller erschienen ist (s. Arbeitsproben).

 

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